Theaterhonig und Sternenhimmel

Theaterhonig und Sternenhimmel

Während wir Cottbuser vom großen Badevergnügen träumen, bauen die beiden Kamenzer an ihrer eigenen Baderei samt Mini-Museum. Nach zehn Jahren erfolgreichem Firmenaufbau war es einfach an der Zeit, dem Etablierten etwas Neues hinzuzufügen. So haben sie am Rande der Kamenzer Altstadt zwei benachbarte, sehr geschichtsträchtige Grundstücke erworben. Das eine war einst Firmensitz der Steudel-Werke, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuerst Fahrräder und später Motoren herstellten, elf Automobile wurden hier sogar komplett in Handarbeit gefertigt. Hieraus würden die beiden am liebsten ein Museum errichten. Das zweite Bauwerk ist eine jahrhundertealte Baderei mit einer rund 500 Jahre alten Eibe im Hof. Sie soll in ihrer Tradition als gesellschaftlicher, städtischer Mittelpunkt und Gesundheitsort neu belebt werden, als Eventlocation mit nachhaltigen Wellness- und Gesundheitsangeboten. Das Pärchen will seine Stadt mitgestalten – genauso, wie die Cottbuser Bürger das zum Beginn des 20. Jahrhunderts in ihrer Stadt machten und ihr eines der heute schönsten noch erhaltenen Jugendstiltheater im deutschen Sprachraum schenkten. Genau dorthin führt unsere Fahrt nun, zum Großen Haus am Schillerplatz. Schon dessen Lage ist beeindruckend. Inmitten der dicht bebauten Innenstadt öffnet sich ein weiter Platz, in dessen Zentrum der imposante Bau Licht und Raum zum Atmen findet. Umrahmt von Grünanlagen und Brunnen hat der Architekt Bernhard Sehring ein frei im Raum schwingendes Monument geschaffen. Die klaren Fassadenflächen im damals angesagten Jugendstil stehen im Kontrast zu allerlei verspielten Verzierungen, die von vielen kleinen Putten bis zu den zwei auf Säulen thronenden Panthergespannen auf dem Dach reichen, die vom Gott Dionysos und dessen Gefährtin Ariadne gelenkt werden und scheinbar in den Himmel stürmen. Jener Gott liebte nicht nur den Wein, aus seinen Festgelagen entwickelte sich der Sage nach auch das Theater. Von den Himmelsstürmern wandert unser Blick zum Eingangsportal. Hier erwartet uns Matthias Günther, Technischer Direktor und seit 36 Jahren untrennbarer Bestandteil des Staatstheaters. Wir erhalten eine exklusive Führung von jenem, der hier jeden Stein und jeden Schalter kennt. Schon im Vorderhaus gerät jeder Satz zur Hommage an den Kulturtempel. Hier ist fast alles im Original erhalten. Etwas amüsiert und zugleich sehnsuchtsvoll blickt der Techniker in die Entstehungszeit des Theaters zurück: Damals wurde der Bauantrag innerhalb von zwei Wochen bewilligt, wenige Wochen später lagen bereits alle Genehmigungen vor, rund drei Monate nach dem Antrag war Baubeginn. Den zweiten Weltkrieg überstand das Haus dank eines Befehlsverweigerers, der es zum Glück nicht übers Herz brachte, das zum Munitionslager umgenutzte Haus vor den herannahenden sowjetischen Truppen zu sprengen. Wir steigen auf zum ersten Rang und betreten das Schmuckstück des Hauses. Wie ein Sternenhimmel breitet sich das Deckengewölbe im Kuppelfoyer über uns aus. Bernhard Sehring nutzte damals unverkleidete Glühbirnen als Schmuckelement, hier hat er dem Haus sein eigenes Firmament gegeben. Jan Eickhoff ist begeistert, als Lichtdesigner geht ihm der puristische Umgang und die Genialität in der Gesamtinszenierung unter die Haut. Unter dem Gewölbe wird ein lichter Raum von 12 Musen umrahmt, die auf Sockeln ruhen. Anne fasziniert eine der Musen. Sie liebt die antike Formensprache, alles ist lebendig, fleischig und echt. Wir schauen vom ersten Rang in den Saal und erhalten die ein oder andere Geschichte zu den früheren Intendanten – und natürlich fragen wir nach der Legende zu den großen Vasen in den Wandnischen des ersten Rangs. Hier wird noch immer gemunkelt, dass sie die Asche der ehemaligen Intendanten enthalten und deshalb die Akustik im Großen Haus so einzigartig ist. Matthias Günther beruhigt uns, es ist lediglich Kies darin – und führt uns weiter durchs Haus aufs Heiligtum, die Bühne. Beim Blick vom Bühnenrand in den Saal wird das Unternehmerpärchen ruhig. Die Kulisse sorgt auch bei leeren Rängen für Gänsehaut. Auf der Bühne fühlt man sich klein, schließt man die Augen, wird das Lampenfieber greifbar, fast so, als würde die Bühne nun das Innerste von uns zur Schau stellen. Die Hinterbühne wirkt dagegen fast grotesk unterhaltsam. Eine riesige, abgeranzte Mickey Mouse beherrscht die Szenerie. Sie ist gleichsam ein Zeitzeugnis für Theaterkunst in ungewöhnlichen Zeiten. Ursprünglich sollte die Plastik Dekoration für das Bühnenstück „Der Wald“ sein, das in Corona-Zeiten selbst zum Gegenstand eines Experiments wurde. Aus dem Bühnenstück wurde eine „Mockumentary“, ein fiktionaler Dokumentarfilm über den Versuch einer Schauspielumsetzung unter den sich beständig verändernden Bedingungen. Der Film wird dann, wenn im Staatstheater ein geordneter Theaterbetrieb wieder möglich ist, als Leinwandinszenierung zu erleben sein. Uns erinnert es an die heruntergekommenen Ruinen des Berliner Plänterwalds, als sich das Kamenzer Pärchen zwischen den Dekorationselementen umschaut. Anne Hasselbach faszinieren die Einblicke der Hinterbühne, die riesigen Aufbauten in den seitlichen Magazinen. Am liebsten würde sie in den Kostümfundus, aber die Zeit ist knapp und eine besondere Überraschung wartet noch auf dem Dach des Theaters. Hier übergibt uns der Technikchef des Hauses an seine Assistentin Birgit Schirmer, die seit drei Jahren die erste Theaterimkerin des Landes sein dürfte. Von ihrem Chef überredet, hat die Hobbyimkerin vor drei Jahren zwei Bienenvölker aufs Theaterdach gebracht, damals skeptisch, ob die Insekten die Anflughöhe meistern würden. Hochkultur und Bienen, das scheint aber gut zu passen. Heute leben hier drei Völker und liefern rund 60 Kilo Honig pro Jahr, der als Theaterhonig im Besucherservice erhältlich ist. Mit unserem Besuch liegen wir genau zwischen Robinien- und Lindenernte. Auch hier dürfen wir einen Blick hinter die Kulissen werfen und dem fleißigen Völkchen auf einer entnommenen Wabe bei der Arbeit zuschauen. Eine Honigverkostung rundet einen Besuch ab, bei dem wir fast die Zeit vergessen haben. Das ambitionierte Tagesprogramm ist noch nicht einmal zur Hälfte geschafft, wir fühlen uns wie ein kleiner Bienenschwarm. Auf dem Rückweg durchs Haus lässt sich Matthias Günther dann doch erweichen: Ausnahmsweise gibt es einen Einblick in den Kostümfundus des Großen Hauses, der die Kostüme aller Inszenierungen auf dem aktuellen Spielplan aufnimmt. Die Zeit rennt, zum Glück liegt unser nächstes Ziel nur wenige Schritte entfernt.

Staatstheater Cottbus
Öffentliche Führung in der Regel sonntags um 10 Uhr. Im Anschluss Möglichkeit zur Teilnahme am Altstadtrundgang.
Treffpunkt: Haupteingang des Großen Hauses.
Für Gruppen Anmeldung im CottbusService (Stadthalle) erforderlich.
www.staatstheater-cottbus.de 

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