Den nehmen wir gleich mit

Den nehmen wir gleich mit

Wir starten ins letzte Drittel unseres wohlüberlegten Tagesausflugs. Nach dem landschaftlichen Wandel mit der Vision einer Seestadt folgten Einblicke in Traditionen und das wirtschaftliche Leben der Stadt. Das Sahnehäubchen ist nun der Aufbruch in ein neues kulturelles Selbstverständnis der Pücklerstadt. Etwas zaghaft erkundigen wir uns nach dem Zwischenstand, es ist fast wie auf der letzten Bergwertung einer Friedensfahrt. Sind wir gut unterwegs? Berührt diese Stadt? Der Zeitplan ist sowieso aus den Augen geraten, es geht um Emotionen und Begeisterung. Das Kamenzer Pärchen nimmt mit einem Lächeln die Last von den Schultern. Aus der Fotografin sprudelt es heraus: „Hätten wir nicht unser Kamenz, dann könnte ich mir ein Leben in Cottbus sofort vorstellen. Das hätte ich noch gestern für unmöglich gehalten.“ Fast kommt etwas Reue auf, dass die Unternehmerreise immer nur als Tagesausflug konzipiert ist.

Mit reichlich Rückenwind führt unser Weg uns nun an die stadtwärts gelegene Seite des Cottbuser Bahnhofs. Fast wie beim Ostsee empfängt uns eine riesige Baustelle. Hier entsteht Neues. Das gesamte Areal erhält ein neues Antlitz, erste Vorreiter begrüßen Bahnreisende und Cottbusbesucher hier bereits mit einer bunten Willkommenskultur. Wir starten in der Galerie Brandenburg, gelegen in einem alten Bahnhofsgebäude aus rotem Backstein, das einst Station für die belebte Strecke von Cottbus nach Großenhain war. Entwickelt wird das gesamte Areal vom Cottbuser Immobilienunternehmer Helmut Rauer, der seit Jahrzehnten sowohl die namhafte als auch die subkulturelle Kunstszene der Stadt unterstützt. Mit der Galerie Brandenburg hat er im altehrwürdigen Bahnhof die passende Kulisse für seine Kunstsammlung, aber auch für befreundete Künstler geschaffen. Die Führung übernimmt Sven Krüger, Kunstkenner, Bücher- und Weinliebhaber per excellence. Wir kommen gerade rechtzeitig zur Besichtigung, Helmut Rauer nutzt mit einem befreundeten Unternehmerpärchen den letzten Tag einer besonderen Ausstellung und nimmt uns mit auf eine kleine Kunstreise. Verschiedene Salons, Nebenräume und die Flure werden für die Kunst genutzt. Sven Krüger moderiert und taucht erst einmal in die Geschichte des Bauwerks ein, das einst über unterschiedliche Wartebereiche für Damen und Herren verfügte. Im Flur führt eine zentimeterdicke Panzertür in einen großen Tresorraum, hier wurden seinerzeit die Gehälter für die Bahnbediensteten gelagert, rund 1 Millionen Mark sollen es manchmal gewesen sein. In der Ausstellung erleben wir Werke von Dieter Zimmermann, der als geschulter Theatermaler seinen Bildern fast immer bühnengleich ein zentrales Motiv einräumt, das von einer Spielwiese kleinflächiger Zitate umrahmt wird. Viele der Bilder sind verkauft, die Galerie hat sich im letzten Jahr auch zu einem guten Treffpunkt für Kunstsammler entwickelt. Anne Hasselbach betrachtet die Bilder, ihr Interesse gehört aber den korrespondierenden Skulpturen von Rita Grafe. Die kleinen Kunstwerke aus Ton erhalten durch eine in Nuancen schimmernde, ziselierte Oberflächen infolge des Rakubrands eine seltene Lebendigkeit. Eine Serie besteht aus verschiedenen Torsi, einer wirkt durch ein fleischiges rosarot besonders lebhaft. Die beiden Kamenzer überlegen nicht lange: Jeder zahlt die Hälfte. „Den nehmen wir gleich mit“. Im Hinterhof schauen wir auf baufällige Lagergebäude, die teils von Graffitis übersäht sind. Sie sollten eigentlich Kulisse eines Streetart-Projektes der Galerie werden, das leider der Corona-Pandemie zum Opfer fiel. Die Szenerie gibt aber einen guten Hinweis auf die bunte Subkultur, die gleich nebenan zu Hause ist.

Galerie Brandenburg
Geöffnet Do.-Fr. 14-19 Uhr, Sa. 10-16 Uhr
im Großenhainer Bahnhof
Güterzufuhrstraße 7, 03046 Cottbus
Tel: 0355 58458-66
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www.galeriebrandenburg.de 

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