„Aha: Branitz. Oh weh: Cottbus. Aber: Ja, Pückler!“

„Aha: Branitz. Oh weh: Cottbus. Aber: Ja, Pückler!“

Zum Jahresbeginn fand für das Gartenreich rund um die grünen Pyramiden im Branitzer Park ein Führungs-, und gleichsam Generationswechsel statt. Auf Gert Streidt, der in den Ruhestand wechselt, folgt mit Dr. Stefan Körner ein Kunsthistoriker auf dem Vorstandsposten der Branitzer Stiftung. Mit Anfang 40 verfügt er bereits über eine beachtliche wissenschaftliche und internationale Expertise rund um Kunst und Adel sowie über Erfahrungen in leitender Stiftungstätigkeit. Die Personalie ist ein echter Gewinn für den grünen Cottbuser Vorgarten, garniert mit jeder Menge Ideen, reichlich Zukunftspotenzial und einem erfrischenden Optimismus. Wir trafen den neuen Hüter von Pücklers Erbe in Branitz zum Gespräch:

Was reizt jemanden aus dem pulsierenden Berlin mit leitender Tätigkeit in Deutschlands größtem Auktionshaus am Umzug in die Provinz, mitten in den ungewissen Strukturwandel?

Genau das! Hier passiert gerade unendlich viel und hier ist Neues möglich. Als Kunsthistoriker und Brandenburger will ich schauen, wie sich das Neue aus der Vergangenheit herleiten und mit Leben füllen lässt. Das ist eine spannende Aufgabe und meines Erachtens eine Steilvorlage für den großen Helden dieser Region, Fürst Pückler, dessen Erbe die Stiftung aus der Vergangenheit in die Zukunft trägt. Ich halte es für eine faszinierende Aufgabe, seine Idee, seinen Mut, seinen Elan und auch seine Verrücktheiten in diesen Wandel einzubringen. Berlin ist groß, pulsierend, aber auch selbstgenügsam und hedonistisch. Hier in der Lausitz bieten sich hingegen die Möglichkeiten zu spannenden Entwicklungen. Auch wenn Cottbus und die Region seit über 20 Jahren von einem steten Strukturwandel erfasst sind, geschieht das Entscheidende genau jetzt. Die Voraussetzungen sind da, die Gelder sind jetzt auch da, und ich spüre den Mut zu einer neuen Zukunft in der Stadt, die wir mit Pückler, Pyramiden, Ananas, vielen Pückler-Fans und einem motivierten Team in Branitz mitgestalten wollen.

War Ihr Berliner Umfeld bei Ihrem Umzug an den Cottbuser Stadtrand nicht etwas erschrocken?

Da möchte ich Ihnen schwer widersprechen. Cottbus liegt nicht hinterm Ural, es liegt mitten in Europa. Berlin, Dresden, Breslau – alles ist nah. Das sind keine Entfernungen. Wir sind eingebettet in eine Region, die sich wandeln kann. Meine Freunde haben oftmals mit „Aha: Branitz. Oh weh: Cottbus. Aber: Ja, Pückler!“ reagiert. Pückler ist die Marke, die den Anfangsverdacht überstrahlt. Wir können die positive, mutige und verrückte Botschaft von Cottbus mit Pückler weitertragen. Da bin ich zuversichtlich.

Mit 41 Jahren bringen Sie als Stiftungsdirektor fast schon eine jugendliche Frische mit, hat man sich bewusst für diesen jungen Außenblick entschieden?

Das müssten Sie den Stiftungsrat fragen, der aus Vertretern von Bund, Land und Stadt besteht. Mein Eindruck ist, dass sich besonders Oberbürgermeister Holger Kelch von jungen Ideen begeistern lässt und auch in seinem Rathaus mit jungen Machern, wie seinem Finanzdezernenten, Zukunft gestalten möchte. Er hat das Selbstbewusstsein zu sagen, wir ziehen hier jemanden aus der Welt nach Cottbus, weil diese Stadt zwischen Ostsee und Bundesgartenschau, zwischen Ananas und Pückler, zwischen diesem wundervollen Park und der Spreelandschaft in den kommenden Jahren eine tolle Geschichte zu schreiben hat. Ich sehe das aus vollem Herzen als eine großartige Perspektive für die Region und ich habe sicher die Zeit und den Willen, das zum Erfolg zu bringen. Ich bin selbst Brandenburger. Mein Großvater würde uns als „Rumpelköppe“ bezeichnen, das zurückhaltende Wesen ist mir also nicht fremd. Im Herzen hat der Brandenburger aber immer Lust vorauszuschauen. Meine Botschaft für die Lausitz ist daher nur positiv, und das meine ich ernst.

Woran hat sich die Entscheidung für Ihre Person, für Ihre Erfahrungen und Kompetenzen ausgemacht?

Der Stiftungsrat samt Ministerin für Kultur und Wissenschaft, der gräflichen Familie und Mitgliedern des Bundeskanzleramts und natürlich der Stadt ist sehr prominent aufgestellt. Der Auswahlprozess läuft bei solchen großen Landesstiftungen sehr strukturiert ab. Nach Bewerbungen und Hearings folgt eine Vorauswahl und schließlich bewertet der Stiftungsrat Ideen, die nicht nur ein Erbe bewahren sollen, sondern es im Hier und Heute vernetzen und inhaltlich in die Zukunft weiterentwickeln können. Sie üben Ämter in verschiedenen Stiftungen und Institutionen aus, verlagert sich dieses Engagement nun in die Lausitz? Ich bleibe einigen Tätigkeiten treu, andere sortiere ich neu, um mich stärker in der Lausitz einbringen zu können. Noch bin ich am Schauen, am Lernen und am Hören, möchte aber meine ganze Energie für Branitz, die Stiftung und die Region einbringen. Dabei hilft jede bestehende und neue Vernetzung ins nahe Berlin, ins nahe Dresden und ins nahe Breslau. Hier kann man die frohe Botschaft weitertragen. Pückler hingegen ist ein internationales Phänomen und eine internationale Marke. Man kennt ihn in Kairo, in London, in Paris, in Wien und ganz Deutschland und das ist und soll noch mehr in den Fokus unserer Strahlkraft treten – ohne natürlich dabei die Bürger von Cottbus aus dem Auge zu verlieren.

Ihr Vorgänger Gert Streidt kam einst von Potsdam, hat hier seine Liebe zur Lausitz entdeckt und bleibt nun – nutzt Ihnen diese Nähe?

Wir sind im steten Austausch. Gert Streidt hat hier unglaublich viel erreicht und wird uns auch langfristig in unseren Vernetzungsprojekten nach Polen und zu den anderen Parks und Gärten eine wichtige Stütze sein. Er wird sich so z.B. weiterhin für den Europäischen Parkverbund Lausitz einbringen.

Was übernehmen Sie von ihm und wo setzen Sie neue Akzente?

Ich habe keine Wertschätzung für Menschen, die in den ersten Wochen alles über den Haufen werfen, was ein Vorgänger mit großer Kraft installiert hat. Ich analysiere in Ruhe die Fundamente. Im Büro habe ich sicher viel verändert, aber auch hier schaut mir nach wie vor das Pückler-Portrait von Moritz Götze, das mir Gert Streidt hinterlassen hat, über die Schulter. Mir ist die Kontinuität in der Arbeit der Stiftung wichtig, ich will sie aber auch ausbauen und entwickeln. Was uns im Team dazu einfällt, wird die verrückte Pücklerstadt hoffentlich immer wieder überraschen.

Spiegelt das deutlich strukturiertere Büro Ihre Persönlichkeit?

Ich bin ein Freund von Struktur und Klarheit beim Arbeiten. Ich finde es interessant, hier im historischen Sitz der Verwaltung von Branitz, dem Gutsinspektorenhaus in der Gutsökonomie, mit zeitgenössischen, modernen Kunstzitaten zu arbeiten. Das ist aber nichts Neues für die Stiftung, die immer alte und neue Kunst zusammenbrachte und dem Publikum vermittelte. 

Wenn Pückler Sie in die Lausitz getrieben hat, ist der ihnen bereits bei Ihren Studien und Tätigkeiten in Venedig, Österreich oder Berlin aufgefallen?

Es mag viele Persönlichkeiten in der Kunstgeschichte geben, aber kaum eine ist im 19. Jahrhundert so strahlend und schillernd wie Fürst Pückler. Bis heute ist er von Mythen umrankt und dennoch kein schrulliger Aristokrat aus alter Zeit. Er ist vielmehr jemand, der unkonventionell voranging, der zukunftsweisende Ideen hatte, der liberal und neugierig Orient und Okzident, altes Regime mit Krone und Demokratie verbunden hat, der aus einer Wüste eine Oase gemacht und mit 61 Jahren nochmal ganz neu angefangen hat. Das ist eine herausragende Persönlichkeit für die Lausitz, für den Innovationsgeist dieser Region, die sich ebenso stets neu erschafft. Das finde ich als Historiker unendlich spannend. Der Blick reicht von Cottbus bis zum Central Park, der nach Pücklers Gestaltungsgrundsätzen angelegt wurde, und in viele Ecken der Welt. Pückler ist eine internationale Marke und von unschätzbarem Wert für die gesamte Region.

Pückler wird meist als Gartenkünstler, Weltreisender und Reiseschriftsteller beschrieben – welcher Pückler ist Ihnen der Liebste?

Die Komplexität dieser Persönlichkeit ist mir das Liebste. Müsste ich eine Eigenschaft auswählen, so wäre es sein Mut. Pückler hatte Mut und wusste, wie er diesen Mut vermarktet und sich selbst inszeniert. Er konnte seine Ideen gut verkaufen und ist damit auch ein Mutmacher für meine Arbeit und für die Stadt.

Zu Ihrem Antritt sprachen Sie von Pückler als „verrückter Kulturmarke“ – welche Gedanken verbinden Sie damit?

Pückler ist die verrückteste und unkonventionellste Kulturmarke des Landes Brandenburg. Unsere Stiftungsratsvorsitzende Manja Schüle agiert unter dem Motto #zukunftwirdinbrandenburggemacht. Wir sind dabei! Wenn man dabei verrückte Ideen einbringt, ist das schon die halbe Miete. Hier freue ich mich, dass dies in Bezug zu Pückler gar keine neue Idee ist und Cottbus sich schon als die „verrückte Pücklerstadt“ auf den Zukunftsweg gemacht hat. Denn Universitätsstädte gibt es viele, die Pücklerstadt ist einzigartig.

In der Lausitz ist die regionale Marke Fürst-Pückler-Land inzwischen in Vergessenheit geraten, wollen Sie Pückler im Lausitzer Wandel auch regional wieder prominenter anbinden?

Es gibt und gab viele Initiativen zur Vermarktung der Lausitz. Leider waren sie oft nur vorübergehend finanziert, zu wenig partizipativ und konnten sich deshalb kaum im gesellschaftlichen Selbstverständnis verankern. Davor kann man nur warnen. Wir brauchen lange, nachhaltige Projekte. Pückler ist per se eine bestehende und – wie man sieht – bereits nachhaltige Marke. Wir stehen als Stiftung mit dem Nachlass, der Bibliothek, dem Park und Schloss, der Orangerie und der Grabstätte im Tumulus für den Grünen Fürsten und wollen uns kraftvoll, lustvoll und gern auch immer wieder verrückt dafür einbringen, dieses Erbe in die Zukunft zu tragen. Das wird regionale und mehr und mehr überregionale Ausstrahlung entfalten.
Welche Rolle spielt dabei der Parkverbund? Im Parkverbund Lausitz sind wir ein wichtiger Player. Hier kann die Stiftung in Branitz Kraft und Know-how einbringen und positiv Einfluss nehmen. Denn Branitz ist auch Tourismus – und ist Klimawandel. Der historische Park befindet sich in seiner größten Krise und kämpft mit Trockenheit, Schädlingsbefall, teilweiser Übernutzung und Besiedlungsdruck durch das urbane Umfeld. 

Ist der Klimawandel für Sie auch eine Chance für neue Ideen, für Wertschöpfung oder Strukturmittel?

Eine fantastische Frage. Die Wurzeln liegen auch hier beim Visionär Pückler. Er gründete seinerzeit keine Baumschule, sondern betitelte die Nachwuchsschmiede seiner Bäume für die karge Lausitz vollmundig als Baumuniversität. Vor zehn Jahren haben wir diese Baumuniversität in Branitz wieder begründet und züchten genetisch angepasstes Baummaterial für unseren Park. Dabei entwickeln unsere Garten- und Baumexperten Lösungen für die sich verändernden Klimabedingungen in historischen Parklandschaften. Hier werden wir uns mit der Universität und Forschungseinrichtungen aufstellen, um gemeinsam dem Klimawandel zu begegnen. Ich war gerade bei der Konferenz eines Initiativbündnisses des „Schlösser und Gärten in Deutschland e.V.“ zusammen mit  der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur, die auf den Klimawandel in historischen Gärten aufmerksam machen und Antworten auf dieses Problem geben wollen. Branitz wurde dort als Vorreiter herausgestellt, weil es mit der Baumuniversität bereits über Erkenntnisse verfügt und konkret handelt. Wir werden dieses Projekt weiter ausbauen. Interessierte Partner reichen von der BTU über die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz bis hin zum Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Baumuniversität von Branitz hat das Potenzial zum Erfolgsthema mit nationaler und internationaler Ausstrahlung ausgebaut zu werden, was sicher auch für Strukturmittel sorgen und Wertschöpfung entwickeln kann.Hier wird auch der Außenpark mit seinen Alleen, Waldarealen, Blühstreifen und Feldern an Bedeutung gewinnen, denn die Baumuniversität leitet vom Innen- zum Außenpark. Der Branitzer Park hat keine abrupten Grenzen, er fließt in die umgebende Landschaft der Lausitz und in Richtung des grünen Zukunftsprojektes Cottbuser Ostsee – einen besseren Bezug kann es gar nicht geben. 

Schaffen zehn Jahre Baumuniversität auch Grundlagen für andere Parks in Europa?

Ja, genau. Alle reden über Klimawandel. Alle reden über Strukturwandel. In Branitz ist hingegen schon viel passiert. Der alte Angeber Pückler gab mit seiner Baumuniversität die Steilvorlage. Wenn wir heute tatsächlich eine universitäre Anbindung an diese Baumschule schaffen können, haben wir Pücklers historische Angeberei fruchtbar in die neue Zeit getragen. Das meinte ich mit Ideen, die ein Erbe nicht nur bewahren, sondern weiterentwickeln.

Bei einer Sache kann Pückler kaum helfen: Die Renovierung des Schlosses steht an, die Perle vieler Sichtachsen muss über lange Zeit eingerüstet werden – gibt es Ideen, die Not zur Tugend zu machen und das für eine verrückte Idee zu nutzen?

Die Sanierung der Schlossfassade, des Daches und der Schlossterrassen wird Ende dieses Jahres beginnen und in Teilabschnitten umgesetzt. Tatsächlich wird sie einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Zum Glück hat Pückler immer darauf geachtet, dass man das Schloss aus den meisten Perspektiven nie in Gänze, sondern meist nur in Teilen sieht. Wir haben viele Ideen, die Baustelle zu einem Kunstprojekt zu machen – lassen Sie sich überraschen.

Sie haben schon von einem „Ideenreich für die Zukunft“ gesprochen, können Sie uns einen Einblick in dieses Reich geben?

Das ist natürlich ein Wortspiel. Pücklers Gartenreich steckt voller Ideen. Wir wollen mit unserem Team und unseren Netzwerken Ideen einbringen, wie man gut auf den Wandel der Region eingehen kann. Es wäre ein wichtiger Baustein, wenn die Bundesgartenschaubewerbung gelingt und Branitz sich in diese grüne Verbindung Richtung Ostsee einbringen kann. 
Geht es bei der Bewerbung zur Bundesgartenschau voran? Cottbus ist für mich einer der Favoriten, das Rennen ist noch offen und wir warten mit großer Zuversicht die Entscheidung ab, die aber noch etwas Zeit braucht. 

Sie erben den Vorteil des sicheren Hafens einer Landesstiftung in Zeiten fehlender Kapitalerträge im Zinstief – wie weit müssen Sie auch Kaufmann sein?

Unser Team ist gut aufgestellt. Wir sind eine öffentlich-rechtliche Stiftung, bekommen die Gelder also aus der öffentlichen Hand und finanzieren uns so weder aus einem Stiftungskapital, noch hängen wir am Finanzmarkt. Wir sind den Ministerien und der Stadt nachgeordnet, schauen aber, wie wir zunehmend Sponsorings ins Haus bringen. Hier werden wir uns modern und offen um Drittmittel in der EU und im Lausitzer Strukturprozess bewerben. Dabei können regionale Wirtschaftspartner eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Wir wollen Teil des Wandels der Region sein.

Was möchten Sie den Lausitzern mit auf diesen gemeinsamen Weg geben?

Lasst uns so weitermachen. Liebt weiter euren Pückler. Liebt eure Region. Habt Mut auf neue und verrückte Ideen. Wenn dann hier. In der Lausitz kann man zeigen, wie sich eine Region seit 400 Jahren immer wieder neu erfindet. Der Sumpf wurde zum landwirtschaftlich genutzten Spreewald und heute zum touristenreichen UNESCO-Bios-phärenreservat. Die Wüste von Branitz verwandelte Pückler in eine grüne Oase. Jetzt erwächst aus dem Braunkohletagebau die große Chance für einen Neuanfang und eine weitere Neuerfindung der Lausitz. Ich kenne keine Region in Europa, die sich seit 400 Jahren so behände, so beherzt immer wieder neu erfindet. Wir müssen darauf stolz sein und mit dem Weltstar Pückler mehr wuchern.

Das Interview führte Jens Taschenberger

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