Von Kuschelkunst, die die Welt verbessert

Von Kuschelkunst, die die Welt verbessert

Oder wie Martin Schüler dem Kinderheim entflieht, von einer Kuschelkatze auf eine Mission geschickt wird, mit ihrer Hilfe schließlich zu sich selbst und einer besonderen Kunst findet und beide nun gemeinsam die Welt erobern.

Wer Katzenvideos mag, wird diese Geschichte lieben. Und jeder andere sicher auch. Sie handelt von einem einst wütenden, aggressiven und als nicht lernfähig abgestempelten Kind, das sich im Erwachsenwerden in der Pücklerstadt einer borstigen Raupe gleich in einen bunten Schmetterling verwandelt und heute mit der Sanftheit von Kuscheltieren den eigenen Seelenfrieden in die Welt hinaus trägt. Und sie zeigt, wie eine kleine Plüschkatze ein ganzes Leben verändern kann.

Martin Schüler galt seinen Lehrern und Erziehern im Spreewälder Kinderheim als hoffnungsloser Fall. Als Bündel voller Wut und Aggression, das die Eltern überfordert und selbst an der Förderschule als unbeschulbar eingestuft, wurde seine Kindheit zu einem einzigen Kampf. All das fiel in eine Zeit, als die Diagnose ADHS oft als Ausrede für den mangelnden Willen zu einer gründlichen Untersuchung herhielt. Entsprechend mit Retalin behandelt, stellten sich keine Besserungen ein. Erst mit 16 Jahren nahm sich ein Arzt die notwendige Zeit und fand mit leichtem Autismus und dem Asperger-Syndrom endlich die Antworten, die ein Leben verändern können.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Martin Schüler schon selbst aus seiner scheinbar ausweglosen Situation herausgekämpft. Im jugendlichen Alter vom Kinderheim an die Eltern zurückgegeben, fand er sich im entfremdeten Zuhause nicht mehr zurecht. Er organisierte sein Leben selbst, wechselte mit 17 Jahren in die Pücklerstadt an eine Gesamtschule und stürzte sich in einer Studenten-WG in ein völlig unbekanntes Leben. Er entdeckte über einen Umweg an der Universität seine Vorliebe für kleine Paragraphen und ihren großen Einfluss auf das Leben anderer Menschen und arbeitet heute als Verwaltungsfachangestellter im öffentlichen Dienst. Stupide Rechtssachen üben auf ihn eine Faszination aus und sind in ihren Strukturen und Regeln der Kontrast zur künstlerischen Seite, die sich immer mehr in ihm entfaltet.

Es war 2018, als Gondula und mit ihr die Kunst in sein Leben trat. Jene Plüschkatze zog ihn, eindringlich aus einem Regal der Galeria-Spielwarenabteilung blickend, magisch an. Inmitten einer Depression, begleitet von persönlichen Verlusten und der krankheitsbedingt verspäteten Pubertät, veränderte sie einfach alles. Bis heute ist er überzeugt, dass sie ihm in einer Art Delirium das Malen von Kuscheltieren ans Herz legte. Kunst war ihm bis dahin durch die Schule verhasst. Er konnte die vielen Regeln nie leiden und wählte das Fach stets ab. Mit 21 Jahren konnte er kaum einen geraden Strich ziehen – und brachte sich nun alles selbst bei. Es wurde gleichsam die Reise zu seiner eigenen Persönlichkeit, die bis heute eng mit Gondula verbunden ist.

Seine erste Kunstserie mit dem Titel „Kuscheltherapie“ zeugt vom therapeutischen Ansatz. Mit Skizzen und Ausmalversuchen schuf er sich eigene Regeln, aus denen bis heute ein Code entstanden ist. Malte er anfangs nur Gondula und andere Kuscheltiere, verschmelzen in seinen Werken heute Menschen, Tiere und Gegenstände mit Facetten von Kuscheltieren. Vermeintliche Fehler in seiner naiv wirkenden Kunst hat er dabei bewusst beibehalten und sogar ausgearbeitet. Die Kunstserien zeichnen in ihrer Chronologie in gewisser Weise auch seine Emanzipation von der kleinen Plüschkatze nach.

Gondula scheint rückbetrachtend mehr Spiegel und Projektionsfläche seiner eigenen Persönlichkeit als Kuscheltier. Sie wurde mit ihm erwachsen und entwickelte eine eigene Personality über seine Malerei hinaus. Anfangs war er sich der Peinlichkeit nicht bewusst, als er Gondula mit zur Arbeit nahm und den Kollegen und Kolleginnen vorstellte. Sie wurde immer mehr zur Bezugsperson – und je stärker er selbst sich in seiner Kunst ausdrücken konnte, desto mehr emanzipierte er sich von seinem vermeintlichen Spiegelbild.

Gondula wurde quasi mit ihm erwachsen – und inmitten der Pandemie kam einer von beiden auf die Idee einer fantastischen Weltreise: Wenn Menschen nicht reisen können, können Kuscheltiere die Welt verbinden. Die erste Reise führte die Plüschkatze zu einem per Instagram befreundeten Künstler nach Italien. Zweite Station war eine Opern-Sängerin auf Mallorca, die einst am Cottbuser Staatstheater sang und Martin Schüler mit dem gleichnamigen, ehemaligen Intendanten verwechelt hatte, woraufhin eine digitale Freundschaft entstand. Weitere Reisen führten nach Pakistan, Sansibar, Tansania, Mexico und zuletzt war Gondula in Nepal Trauzeugin bei der Hochzeit eines nepalesischen Pärchens, mit maßgeschneidertem Kleid.
Parallel zu Gondulas Reiselust wuchs seine Kunst, die aktuelle Serie vereint Kuschelkunst mit einem Kontext aus Krieg, Frieden und Celebrity. Einige Dutzend seiner Werke sind zu Preisen von 250 bis 550 Euro verkauft, im Juli folgt die erste internationale Ausstellung in Amsterdam. Je mehr Martin Schüler zu sich selbst gefiunden hat, je mehr sich der Schmetterling entfaltet, desto mehr wird ein Gesamtwerk aus Kunst, Person und Aktion sichtbar. Dem illustren Pückler mit Hang zur Kostümierung hätte diese Geselschaft sicher gefallen. Zur Ausstellung erscheint auch Martin Schüler schon mal als Schneewittchen, in Amsterdam soll es ein Hochzeitskleid sein. Das ist wohl auch ein schönes Symbol fürs Ankommen bei sich selbst und einem hart erkämpften und mit Kunst erstrittenen „Ja“ zur eigenen Persönlichkeit.

www.ArtSchueler.com 
Instagram: therealgondula & artschueler

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