Per Ferienjob zum Firmenchef
Foto: Harry Müller, codiarts

Per Ferienjob zum Firmenchef

Wie Lothar Parnitzke in den Schulferien Ölfläschchen verschraubte, binnen zwei Wochen zum Firmennachfolger gekürt wurde und mit alter, neuer Marke die Welt eroberte.

Die Geschichte von Lothar Parnitzke und der heute wohl bekanntesten Cottbuser Wirtschaftsmarke begann mit einem Ferienjob und dem Verschrauben kleiner Ölfläschchen. Es war im Juli 1963, als der 15-jährige in der Firma Gebrüder Kunert für 90 Pfennige die Stunde sein Taschengeld aufbesserte und an einer Abfüllanlage mit drei Arbeitsplätzen sechs Wochen arbeitete. So konnte jede Mitarbeiterin an dieser Anlage 14 Tage Urlaub machen. Zuerst sorgten die geriffelten Deckelchen für blutige Finger, dann kam die Hornhaut. Nach zwei Wochen kamen die Firmenchefs auf ihn zu. Beide waren kinderlos und fragten Lothar Parnitzke, ob er nicht bleiben möchte, um die Firma zu übernehmen und weiterzuführen. Zwei Jahre später begann Parnitzke seine Lehre zum Industriekaufmann in der Firma, mit der er heute Waren in alle Ecken der Welt liefert. Dabei war der Weg alles andere als einfach und behütet. Die Lehre als Industriekaufmann war eigentlich den Frauen vorbehalten. Gebrüder Kunert erwirkten eine Sondergenehmigung, und so wurde Lothar Parnitzke der einzige männliche Industriekaufmann seines Jahrgangs. Der Lehre folgte der damals übliche Armeedienst und im Anschluss ein Studium. Während des Studiums wurde Gebr. Kunert verstaatlicht. So wurde Lothar Parnitzke nach dem Studium zum stellvertretenden Betriebsdirektor im VEB Feinkost Cottbus. 1974 wurde er Betriebsdirektor. In nur elf Jahren vom Ferienjob zum Firmenchef, das war schon eine verrückte Geschichte. Damals wurden Mayonnaise, Leinöl, Speiseöle und Harzer Käse vorwiegend in den Brandenburger Handel geliefert. Der Betrieb produzierte nach Plan – bis 16 Jahre später, im Jahr 1990, die Wende kam. In dieser turbulenten Zeit übernahm Lothar Parnitzke Verantwortung für seinen Betrieb und seine „Mannschaft“. Als der zweite Treuhandchef in Cottbus, Günther Lühmann, im Februar 1991 seinen Dienst antrat, hatte Parnitzke gleich an dessen erstem Arbeitstag um 17 Uhr einen Termin. Nach sechs Wochen intensiver Gespräche war der Betrieb privatisiert. Hier begann die Erfolgsstory von Kunella, aber nicht sofort. Ohne jegliche Managementkenntnisse und ohne Hilfe stürzte sich Lothar Parnitzke ins Abenteuer Marktwirtschaft. Vier harte Jahre kämpfte er darum, mit seinen Artikeln in den Handel zu kommen. Gleich zum Beginn hatte er die Marke wiederentdeckt und aufpoliert, unter der das 1894 gegründete Unternehmen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs seine Waren angeboten hatte. Kunella war die Marke, unter der es 37 Einzelhandelsgeschäfte in Schlesien, Brandenburg und Sachsen gab. Nach der Wende kannten diese Marke nur wenige, der Handel wurde mit Westprodukten überschwemmt, der Kampf um Plätze im Regal war für den Cottbuser absolutes Neuland. Das „Ölgeschäft“ sprudelte nicht und war alles andere als lukrativ. Anfangs arbeitete seine Mannschaft nur einen Tag pro Woche. Als er in einem Supermarkt eine Chance erhielt, lieferte er eine kleine Produktpalette im Warenwert von 12 DM für Logistikkosten von 25 DM. Er eroberte nach und nach Regalflächen bei den etablierten Handelsketten. Bereits ab 1994 besuchte der rührige Unternehmer Messen in Russland und Litauen, fand Partner und belieferte die ehemalige Sowjetunion bis nach Sibirien. Vor der Wende gab es dorthin keine Kontakte. Mit einem Tag Arbeit in der Woche für 40 Leute wurde nach der Privatisierung begonnen. Erst ab 1995 wurden daraus fünf Tage in jeder Woche. Ab da ging es langsam aber stetig bergauf. 1997 orientierte sich das Unternehmen wiederum neu. Jetzt nahm Kunella an noch mehr Messen teil, in Singapur, Mexico, Brasilien, China ... 

Heute spricht alle Welt von Internationalisierung, ein Weg, der für Parnitzke vor zwei Jahrzehnten begann. Rückblickend waren es diese internationalen Aktivitäten, mit denen er die Bekanntheit der Marke aufbaute und auch in Deutschland zunehmend Listungen für den Handel Ost oder Deutschland gesamt erhielt. Heute umfasst die Produktpalette knapp 70 Artikel und Kunella ist als Genussmarke in fast jedem Supermarkt Deutschlands etabliert. Weltweit verfügt Kunella über einen einheitlichen Markenauftritt mit dem markanten Logo, nur in China wird es übersetzt mit den fantasievollen Schriftzeichen als „gutes Essen“ angeboten. Wirklich reich geworden ist der Vorzeigeunternehmer nie, er lebt seit 1995 in einer bescheidenen Wohnung auf dem Firmengelände und macht in jedem Jahr genau zwei Wochen Urlaub. Dann wandert er im Stubaital auf Berge bis in 3.000 Meter Höhe. Die übrige Kraft fließt nach wie vor in die Marke und das Unternehmen Kunella, in das die Gewinne ständig investiert werden. Mit 72 Jahren hat er gerade in eine neue Verpackungsanlage investiert. Nach einer Pause gefragt, antwortet er verwundert, dass diese Investition erst in sieben Jahren abbezahlt ist. Auch wenn die Nachfolge gesichert scheint, ist diese verrückte Wirtschaftsgeschichte, verbunden mit einem einzigartigen Markenbotschafter für die Pücklerstadt, noch lange nicht zu Ende. Eine Geschichte, zu der man tatsächlich sagen möchte: das geht runter wie Öl. Kunella Leinöl.

www.kunella-feinkost.com 

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